- und dann?
Oder: Wo sind die Erben?

Im Januar 1985 wurde der Santana zum Passat Stufenheck degradiert.

Im Mai 1988 erschien der Passat B3 / "35i" nur noch als Stufenheck, später als Variant - einen Passat mit Schrägheck hat es seit 1988 aber nie mehr gegeben. Das Konzept des B2 Stufenheck, die Etablierung des Stufenhecks bei Volkswagen in der (oberen) Mittelklasse, ist somit also gelungen. Doch was wurde aus dem Santana, der Idee, mit der Marke Volkswagen eine klassische Komfortlimousine oberhalb des Passat anzubieten?

In den Übersee-Märkten, wo der Santana eine begeisterte Anhängerschaft für sich gewinnen konnte, erhielt er 1990 eine umfangreiche Renovierung zum "Novo Santana" (Brasilien, bis 2006 gebaut) bzw. "Santana 2000" (China), aus dem Santana 3000 (rechts) und Santana "Vista" hervorgingen. Der Santana in seiner Urform wird in China inzwischen über 25 Jahre gebaut. Verschiedene Modelle wurden dort bereits als mögliche Nachfolger lanciert z.B. der VW Lavida, eine Konstruktion speziell für den chinesischen Markt. Der Santana blieb aber lange Zeit der unbestrittene König und meistverkaufter Volkswagen in Fernost...
Doch was passierte in Europa? Im PKW-Bereich blieb das Segment oberhalb des Passat, in dem der Santana Käufer gewinnen sollte, für VW nach 1988 unbesetzt. Der gesamte Bereich oberhalb der "Mittelklasse" war ab Mitte der Achtziger für Audi reserviert, die Aufteilung war klar: Passat und Audi 80 deckten etwa den gleichen Bereich ab, alles unterhalb des Passat war für Volkswagen, alles oberhalb war für Audi vorgesehen.

Somit darf man also heute die Frage stellen: Gibt es einen Erben des Santana?

Bei näherer Betrachtung aller Volkswagen PKW Modelle "oberhalb des Passat" fallen drei mögliche Fahrzeuge auf, die im folgenden kurz auf ihre Fähigkeit als "Nachfolger" des Santana abgeklopft werden sollen.

Kandidat Nr. 1: Acht Zylinder im Passat

Einen ersten Versuch, einen besonderen VW oberhalb des Standardpassat anzubieten, stellt der Passat "W8" von 2001 dar. Der erste Passat mit Achtzylindermotor ist ein technisches Highlight: 4 Liter Hubraum, 275PS und Allradantrieb waren eine echte Kampfansage aus Wolfsburg an das süddeutsche Establishment und eine absolute Krönung der Passat-Entwicklung, die bis heute nicht wieder erreicht wurde: Seit dem Quereinbau der Motoren beim Nachfolger sind acht Zylinder vorerst nicht mehr denkbar.

Der W8 nahm eine Sonderposition an der Spitze der Passat-Reihe ein, und viele Teile und Ausstattungsdetails gab es nur hier.
Der W8 war, nicht zuletzt durch die Leistung, ganz klar der oberen Mittelklasse zuzuordnen. Den Passat W8 gab es exklusiv nur mit diesem einen Motor, und bereits hier deutet sich an, daß von einem wirklich eigenständigen Modell nicht die Rede sein kann, sondern eher von einer Modellvariante, so wie der Golf GTI bei aller technischen Eigenständigkeit und getrennter Werbung stets ein Mitglied der Golf-Familie bleibt - anders hätte der "GTI" ja nie entstehen können.
Es handelt sich beim W8 schließlich immer noch um einen Passat - zwar um einen ganz besonders edlen, sportlichen und exklusiven, doch der Santana unterschied sich sowohl in der Karosserie als auch vom Namen her wesentlich deutlicher von seinen Passat-Brüdern. Somit darf der W8 zwar als ein ganz besonderer Passat gelten, als Santana-Nachfolger kommt er jedoch nicht wirklich infrage. Immerhin erinnert diese Limousine vom Ansatz her ("Passat" mit großem Motor und nur mit einem Motortyp lieferbarer Exklusiv-Ausstattung) ein bißchen an den 85er/86er Passat Stufenheck "Carat"...

Kandidat Nr 2: Haute Couture am Passat

2008 zeigte Volkswagen das nächste Modell der oberen Mittelklasse oberhalb des normalen Passat: Nachdem ein Hersteller aus Stuttgart recht erfolgreich mit einem "viertürigen Coupé" auf dem Markt der Oberklasse präsent war, entstand in Wolfsburg in der Folge und für etwa anderthalb Segmente darunter, in der einst vom Santana zu erobernden oberen Mittelklasse, der Passat "CC".

Eine in der Erscheinung eigenständige Stufenheckkarosserie auf Passat-Basis und Außenmaße oberhalb des Standardpassat klassifizieren den "CC" theoretisch als einen möglichen Nachfolger des Santana. Die von den Verkaufszahlen her durchaus ansehnliche Coupé-Limousine gibt es mit zunächst zwei Benzin- und zwei Dieselmotoren von 140-300 PS, eine Leistung, die natürlich sehr weit über den seinerzeit für den Santana angeboten 54-115 PS liegt. Die Leistung hat sich zwar fast verdreifacht, aber die Spreizung ist prozentual durchaus vergleichbar ("höchste etwa kleinste Leistung mal zwei, und noch ein bißchen was drauf").
Teurer als der Passat Stufenheck mit der "Standardkarosserie" ist der "CC" ohne Frage - wie seinerzeit der Santana, und auch die mögliche Ausstattung geht mit Details wie z.B. Rückfahrkamera und Einparkassistent über die in einem Passat mögliche hinaus...

Doch auch wenn die Merkmale einer starken Karosseriediversifizierung und auch der Ausstattungsdetails im "CC" eine Position oberhalb des normalen Passat signalisieren, so ist gleichzeitig völlig klar: Der "CC" ist ein Passat. Einer der besten, ohne Frage, aber er trägt keinen eigenständigen Namen und reklamiert für sich ein Segment, das neben einem selbstverständlich standesgemäßen Komfort auch eine Betonung auf einen sportlichen Auftritt legt. Auch das hätte der alte Santana, selbst als Fünfzlinder, niemals in dieser Form getan.

Kandidat Nr. 3: Ein neuer Höhenflug und Platz an der Sonne

Schon 2002 allerdings hatte Volkswagen den ersten klassischen Personen-Kraft-Wagen (alles hieran ist wörtlich zu nehmen) oberhalb des Passat vorgestellt, der auch einen eigenen Namen tragen sollte - Ferdinand Piëch hatte als Krönung der Volkswagen AG den "Phaeton" enthüllt, eine veritable Oberklasse-Limousine von über zwei Tonnen mit einer Leistung von anfangs 241-420 PS und zunächst V6, V10 und W12 Motoren.

Der Phaeton teilt sich fast gar keine Teile mit dem Passat, sein nächster technischer Verwandter ist der Audi A8. Darüber hinaus ist der Phaeton ein vollkommen eigenständiges Auto, für seine exklusive Produktion wurde ein eigener Standort, die Gläserne Manufaktur in Dresden, errichtet, in der er größtenteils von Hand montiert wird. Die Ausstattung dieses in allen Belangen Richtung München und Stuttgart zielenden Wagens ist mehr als opulent, und einer der allerersten fertiggestellten Wagen wurde durch den damaligen Bundeskanzler zur Staatskarosse erhoben, der Phaeton avancierte zum regulären Mitglied von Fuhrparks der Landes- und und Bundesministerien.
Dieses Automobil ist natürlich nicht mehr der oberen Mittelklasse, sondern der Oberklasse zuzurechnen. Dennoch gibt es bestimmte Eigenschaften, die einen Vergleich zum Santana nicht so abwegig erscheinen lassen, wie zunächst möglicherweise anzunehmen: Die Motorenauswahl beim Phaeton und die Ausstattungsmöglichkeiten reichen von Sechszylindern mit Ausstattungsdetails, wie sie um 2005 der oberen Mittelklasse zuzuordnen sind, bis hinauf zum Zwölfzylinder oder dem einzigartigen V10-Diesel, ein Spagat, der es preislich möglich macht, den Wagen sowohl der oberen Mittelklasse als auch der Oberklasse zuzuordnen - so wie Anfang der Achtziger, als ein Santana LX mit 75PS sich mit einem Opel Ascona als Vertreter der Mittelklasse, ein GX5 mit 115PS aber auch mit einem BMW 520i der oberen Mittelklasse vergleichen ließ. In beiden Fällen also ein Auto nach Maß.

Schließlich kommt auch die Tatsache hinzu, daß sowohl Santana als auch Phaeton bei ihrer Präsentation von Unverständnis der Fachjournalisten begleitet wurden: Sowohl 1982 als auch genau zwanzig Jahre später erging sich die nach Stuttgart und München orientierte Motorpresse in Ausrufen, ein "Volkswagen" in dieser Klasse sei überflüssig, habe nicht das für einen Erfolg nötige Image, sei qua definitionem überteuert, wer wolle schon für einen VW so viel Geld ausgeben, da könne man ja gleich einen "Stern" kaufen...

- Der Phaeton ist seit dem Santana der einzige Volkswagen Reisewagen oberhalb des Passat, der ein eigenständiges Profil mit eigenem Namen zeigt. Solange also zwischen Passat und Phaeton keine neue Volkswagen Limousine der oberen Mittelklasse positioniert wird, darf der Phaeton wohl wie seinerzeit der Santana als Vertreter des Gedankens einer Volkswagen Komfortlimousine oberhalb des Passat betrachtet werden. Ob er als zeitgemäßer Nachfolger des Santana gelten darf, muß wohl jeder Fahrer eines Santana und/oder Phaeton für sich entscheiden.

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