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Lübeck-Bilbao. Ein Santana auf Fernreise - ganz wie in der Werbung.

Im Frühjahr 1982 betrat Herr Rudolf M. das Autohaus Lau in Groß Grönau bei Lübeck. Herr M., damals 59 Jahre alt und von Beruf Lehrer und Rektor, fuhr bisher einen Audi 100 Typ 43, der langsam in die Jahre kam und nun bald ersetzt werden sollte - selbstverständlich wieder durch eine Stufenhecklimousine, denn Herr M. war von jeher Liebhaber dieser Form, die man ja fast zwingend mit dem Begriff des "Automobils" verbindet.

Jetzt, Anfang 1982, gab es seit langer Zeit auch von Volkswagen wieder ein Angebot in der Sparte "klassische Reiselimousine", die nach der Einstellung des K70 acht Jahre zuvor durch VW unbesetzt geblieben war. Vom neuen Santana hatte Herr M. schon gehört und gelesen, auf dieses Auto war er neugierig.

Herr M. verließ seinen damaligen V.A.G.-Partner schließlich mit einem unterschriebenen Kaufvertrag und voller Vorfreude auf seinen Santana CL in der von ihm ausgesuchten Farbe monacoblau. Wie viele Käufer zur damaligen Zeit hatte er, unterstützt von fördernden Worten des Verkäufers und den Erfahrungen mit seinem Audi, den 85PS-Motor bestellt, wegen seines Hangs zu ausgedehnten Touren über französische Autoroutes und deutsche und spanische Autobahnen zusätzlich das E-Getriebe und aufgrund der damals häufigen Nebelunfälle bestellte er die Nebelschlußleuchte für ganze 53 DM.

Zuhause angekommen, erzählte er seiner Frau und den beiden Töchtern von der Bestellung. Ein Santana - der neue VW mit dem spanischen Namen kam in der Familie gut an, denn Frau M. stammte von der iberischen Halbinsel, und "Monacoblau", das klang nach Riviera, Mittelmeer und Palmen, mondän und glamourös. Der Santana-Prospekt wurde durchgeblättert, die bestellte Farbe betrachtet, und voller Vorfreude wartete man auf das neue Familienauto, das den treuen Audi 100 ersetzen würde.

Schließlich war es soweit: Herr M. nahm seinen neuen Santana in Empfang, nachdem das Autohaus , wie es damals noch häufig der Fall war, in der eigenen Werkstatt vier Lautsprecher und ein Radio eingebaut hatte. Begleitet von den guten Wünschen des Verkäufers und um 20.088 DM plus die Kosten für das Radio ärmer fuhr er stolz seinem trauten Heim entgegen, wo die Familie schon gespannt warten würde.

Die Ankunft indes wurde ernüchternd: Während Frau M. die Farbe durchaus positiv nahm, waren die Töchter des Hauses einfach nur entsetzt von dem tatsächlichen Anblick eines monacoblauen Santana. Diese Farbe, das ginge ja gar nicht, wie sähe das denn aus, mit einem "babyblauen" Auto müsse man sich ja schämen...

Nun begann der Alltagsdienst für den neuen Santana CL, der in den nächsten Jahren noch auf dem Lehrerparkplatz stehen würde, vermutlich umgeben von etlichen Passat Variant, der in der Zwischenzeit quasi zum Liebling des praktischer orientierten deutschen Lehrers avanciert war.

Irgendwann wurde die Farbe auf diesem Santana dann auch durch die Töchter nicht mehr nur zähneknirschend hingenommen, sondern zur Selbstverständlichkeit: Es gab auch andere Santanas, sicher - aber der von Familie M., der war blau! Nicht nur irgendein Blau, auf die seltene Farbe angesprochen erklärten die Familienmitglieder häufiger und mit Betonung "Das ist Monacoblau!"

Bald nahm dieser Santana seine damals auch in der Printwerbung so viel propagierte Tätigkeit als Fernreisewagen auf, und er brachte die Familie stets zuverlässig nach Bilbao, die zweite Heimat der Familie M., wo Herr M. in den fünfziger und sechziger Jahren federführend beim Aufbau der dortigen Deutschen Schule gewesen war und somit auch die gemeinsamen Wurzeln der deutsch-spanischen Familie lagen. Viele Ferienzeiten wurden im Süden verbracht, viele tausende Kilometer auf den Autobahnen Deutschlands, Belgiens, Frankreichs, Spaniens und anderer europäischer Länder abgespult...

Mit seinem Eintritt in den Ruhestand zog es Herrn M. dauerhaft nach Bilbao. Seinen blauen Santana nahm er mit - in Spanien hatte dieses Auto einen deutlich besseren Ruf als in Deutschland, statt als überteuerter Passat mit unpraktischem Stufenheck wurde der Santana hier als das betrachtet, was er immer war, als komfortable, solide und robuste Limousine aus Deutschland. Außerdem wurde der Santana mit Selbstverständlichkeit auch als spanisches Auto wahrgenommen, denn auch im Lande wurde er produziert, und auch nachdem sonst in Europa überall der Passat Stufenheck die Nachfolge des Santana angetreten hatte, führten die stolzen Spanier noch am Heck des Facelifts den Schriftzug "Santana".

Nur einige Ausflüge in die alte Heimat unternahm der stets in Lübeck angemeldete Wagen in den nächsten sieben Jahren, wurde z.B. durch Vater M. notgedrungen der inzwischen in Braunschweig Architektur studierenden Tochter B., die mit Kommilitonen in einem Alfa auf der spanischen Autobahn liegengeblieben war, für die Rückfahrt nach Deutschland zur Verfügung gestellt.

Tochter B. fuhr zu diesem Zeitpunkt das damals neben Käfer und Renault 4 wohl klassische Studentenauto, einen Citroen 2CV. Dieser kam in die Jahre und mußte ersetzt werden, worauf ihr Vater M. seinen monacoblauen Santana anbot... - längst hatte Tochter B. ihren Widerstand gegen die Farbe aufgegeben, und der Santana gehörte in den nächsten Jahren ganz selbstverständlich zu ihr. Die Nachfolge in Spanien als Fahrzeug von Rudolf M. trat ein kleiner Hecktriebler aus dem Schwäbischen an.

Braunschweig, Bilbao, Stuttgart, Magdeburg, Dessau - wohin auch immer es Frau M. als Architektin beruflich zog in den nächsten Jahren, der Santana CL brachte sie sicher hin und sorgte für Bewegung, zuletzt ausschließlich als Sommerauto mit Saisonkennzeichen. Wartung und Reparaturen wurden gewissenhaft durchgeführt, die trockenen Jahre im Süden, zusammen mit einer späteren Komplett- und einigen Rempler-bedingten Teillackierungen, die noch Rudolf M. hatte ausführen lassen, hatten den Santana ein überdurchschnittliches Alter erreichen lassen.

Im Jahre 2009 schließlich, Frau M. hatte nach dessen Tod auch den deutlich jüngeren schwäbischen Stern ihres Vaters übernommen, dachte sie ernsthaft darüber nach, sich doch von dem Santana zu trennen, wobei ihr eine artgerechte Erhaltung in pflegender Hand sehr wichtig war.

Über Kollegen in Braunschweig wurde sie auf den Kollegen eines Bekannten aufmerksam gemacht, der doch allen Ernstes Santanas sammeln würde...

Nach einigen Jahren in meinem Besitz, die der Santana CL hauptsächlich mit Warten zubrachte, ist das Versprechen, ihn originalgetreut wieder aufzubauen, inzwischen erfüllt: Neben einigen Ausbesserungsarbeiten am monacoblauen Blechkleid mussten z.B. alle Chromleisten um die Fenster gegen Neuteile getauscht werden, um die Schäden der südlichen Sonne zu beheben. Das Armaturenbrett wurde durch ein gutes gebrauchtes Teil ersetzt, und nach dem Beheben eines lästigen Elektrikdefekts wurde dieser mein erster Santana, der mit über 30 Jahren Alter als amtlich anerkannter Oldtimer unterwegs sein darf.