Nr. 4 - Ein Fahrzeug aus der Nullserie.

Von 1982 bis 1992 fuhr Michael H. einen Santana GL. Das ist zwar sehr erfreulich, aber zunächst an sich nichts Besonderes.
Doch dieser Santana hatte die Fahrgestellnummer WVWZZZ32ZCE000004 - der Santana Nr. 4.
Heutzutage werden Fahrzeuge, die noch nicht dem Serienstand entsprechen, nicht mehr an Endkunden ausgeliefert, doch der togogelbe Santana GL mit der Innenausstattung in "gazelle" war ein echter Dauerläufer...
Der Santana wurde der Öffentlichkeit offiziell auf der IAA im September / Oktober 1981 vorgestellt, zu diesem Zeitpunkt gab es auch die ersten Prospekte "Der neue Santana". Die Auslieferung der ersten Fahrzeuge an Händler fand frühestens im Dezember 1981 statt, der erste Fahrbericht in der "Auto, Motor und Sport" datiert vom Januar 1982.

Die Produktion der ersten in Serie gefertigten Santana datiert jedoch fast ein Jahr weiter zurück. Die ersten 32b des Modelljahres 1982 - alles Santana - wurden ab Februar 1981 gefertigt, und sie sollten völlig verschiedene Zwecke erfüllen: Obwohl bereits in der Serie gefertigt, unterschieden sich diese Autos in Details von den späteren "Normal"-Serienmodellen, und neben Fahrzeugen für Fotoaufnahmen, interne und Händler-Präsentation, Typisierungsfahrzeuge (z.B. Nr. 6 für Österreich) wurden auch viele dieser Fahrzeuge im Versuch verbraucht. Auffallend viele der allerersten Santana waren übrigens togogelb, während diese Farbe ab Januar 1982 nicht mehr lieferbar war.

Ausgeliefert wurde dieser GL mit 165 SR 13 von Uniroyal, schwarzen 5Jx13 Stahlfelgen und den auch auf diesem Foto verbauten Chromradkappen - serienmäßig auf Passat und Santana GL des Modelljahres 1982 zu finden.
An Extras bekam er ab Werk das Radio "Ingolstadt II Stereo" - mit vier Lautsprechern und Überblendregler, ein qualitativ gutes und nicht eben billiges Radio (R 05)-, eine Nebelschlußleuchte (M 571)und einen speziellen Halter für den Verbandkasten im Kofferraum (M 082). - Das Radio und die Rückleuchte mit NSL und NSL-Schalter waren beim Verkauf an Michael H. aber nicht mehr verbaut.
Die vordere Gummileiste an der Motorhaube hat nicht, wie sonst beim GL üblich, einen eingelassenen Chromstreifen, sondern entspricht dem CL ohne Chrom.
Dieser eine Santana GL Automatic in togogelb hatte jedoch im Vergleich zu seinen Fertigungskumpanen aus der Vorserie einen recht langen Lebensweg. Gebaut am 22.05.1981, wurde er am 03.06.1981 bereits ausgeliefert. Ausgeliefert heißt dabei aber noch nicht zugelassen - offenbar wurde er zunächst mit werkseigener Roter Nummer gefahren, denn die Erstzulassung erfolgte tatsächlich erst am 08.04.1982, also fast ein Jahr später. Zugelassen wurde er auf einen Werksangehörigen der damaligen Volkswagenwerk AG, Herrn Rudolf S., und dieser muß auf den Wagen mächtig stolz gewesen sein, denn er bekam das prestigeträchtige Kennzeichen WOB-RS 1. Außerdem erhielt der Santana eine Peka-Anhängerkupplung - der Sommerurlaub stand ja direkt vor der Tür.

Indes, die Beziehung des Werksangehörigen zu seinem Auto ist meist eine kurze, und so trennte sich Herr S. bereits am 18.09.1982, bei einem Tachostand von immerhin bereits 10.800km, wieder von dem Santana - er war mit dem Wagen zum Wolfsburger Jahreswagenverkauf gefahren, der damals Sonnabends vor den Toren des Werkes Wolfsburg stattfand.

Um 14.00h übernahm der erst 19jährige Michael H. seine gelbe Limousine, die er auf dem "Schweinemarkt" besichtigt hatte, Herr S. steckte sich 16.800,- DM in die Hemdtasche, und Michael ließ sich stolz nach Hause fahren, denn er konnte den Wagen zunächst nicht selbst bewegen - er braucht in seinen Autos eine Handbedienung für Gas und Bremse, und diese mußte in den "Jahreswagen" erst noch eingebaut werden.

Ein Unfall schon im November 1982, bei dem der Vorderwagen deformiert wurde, bedeutete für den Wagen nicht das Ende - ein Mechaniker in der Werkstatt wies den anderen, der den Wagen geistig schon verschrottet sah, auf die Fahrgestellnummer hin, und danach wurde dann auch repariert. Die Jahre kamen und gingen, der Wagen wurde älter, Michael H. mit ihm, doch er fuhr den Wagen immer noch gerne, schließlich wußte er auch ganz genau, was die Fahrgestellnummer bedeutete - nämlich, daß sein Santana ein ganz besonderer war. Eine Anfrage beim AutoMuseum in Wolfsburg im Jahre 1989 erbrachte erstmals genaue Daten für Produktion und Auslieferung.

Vom heimischen Heiligenhaus aus zum Studium nach Bochum fuhr Michael H. seinen Santana - und neben den Studenten, die zu diesem Zeitpunkt größtenteils alte klapprige Kleinwagen, Fahrrad oder Bus fuhren, staunte dort 1984 speziell ein chinesischer Gastprofessor, der auch noch wirklich aus Shanghai kam, als er den jungen Mann mit diesem Auto fahren sah, das in seiner Heimat damals, Anfang der Achtziger, nur Parteikader fuhren.

Verkauft wurde der Santana durch Michael H. dann mit schwerem Bedauern 1992, als deutlich wurde, daß der Wagen immer wieder Probleme mit der Elektrik haben würde, die die Werkstatt nicht nachhaltig beheben konnte. Nicht lokalisierter Wassereinbruch im vorderen Fußraum von Anfang an machte ab 1983 den zweijährlichen Austausch der Zentralelektrik nötig, auch der Kofferraum lief - vermutlich wegen zu großer Maßungenauigkeiten im Rohbau dieser sehr frühen Santana-Karosse - mit Wasser voll, was die Langlebigkeit des Wagens natürlich auch nicht gerade förderte. Zum besseren Erhalt des Wagens wurden vor dem Verkauf auf Empfehlung eines Sachverständigen neue Schwelleraußenbleche eingeschweißt.

Nach etwa 220.000km in elf Jahren, die der Wagen im ganz normalen täglichen Einsatz und auf Langstrecken in ganz Europa zurücklegte, wurde immer deutlicher, daß zumindest die Rostvorsorge bei diesem Wagen noch nicht den späteren Serienstand erreicht hatte. Das weitere Schicksal des nach Wülfrath verkauften Wagens verliert sich im Dunkeln, aber es ist unwahrscheinlich, daß er die zweite Hälfte der Neunziger noch erlebt hat - obwohl der Motor auch jenseits der 200.000km noch eine Kompression von über 10 auf allen Zylindern und eine jugendliche, tägliche Vollgasfestigkeit besaß.

03.07.1990 - der Tag nach der Aufhebung des Zwangsumtausches für Bürger der BRD und West-Berlins bei Einreise in die DDR. Ein unangemeldetes Abenteuer mit 91-Oktan-DDR-Normalbenzin. Düsseldorf - Freiberg/Sachsen und zurück an einem Tag - anstatt zur Uni, und alles ohne DDR-Landkarten. Hier ein Foto von einem Zwischenstopp in Gotha.

Besonders die sehr an Stufenhecklimousinen gewöhnten Bürger der Ex-DDR waren von dem großen Volkswagen begeistert und kauften den West-Gebrauchtwagenmarkt leer - Michael H. brachte seinen togogelben GL allerdings wieder mit nach Hause.

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Noch heute kennt Michael alle Einzelheiten seines Wagens, den er selber schon so lange nicht mehr besitzt, haargenau, und er weiß, was seinen Santana im Speziellen von den über 58.000 unterschied, die ihm nachfolgten:

- 2 konvexe Außenspiegel ab Werk

- dunklere braune Türinnenverkleidungen als "gazelle" - die Farbe muß ähnlich dem
erst ab Mj. 1984 verbauten "trakehner" gewesen sein, nach einem
Einbruchschaden war aber kein farblich passender Ersatz zu beschaffen

- Seitenblinker von Hella - in dieser Form Serie z.B. in Italien, Dänemark und Israel
(Hier ergibt sich die Frage, ob die Blinker eventuell im Werk auch erst nachträglich
montiert waren, denn die Lochränder scheinen nicht lackiert gewesen zu sein
.)

- fehlende Parklichtschaltung auf Garantie nachgerüstet (evtl. Italien-Fahrzeug?)

- verlängertes Auspuffendrohr (wie Passat Variant), ohne die GL-Chromblende

- fehlender Chromkeder in der Heckscheibendichtung trotz passender Gummisicke

- schwarze Leiste ohne Chrom an der Motorhaube (wie sonst beim Santana CL)

- glatter hinterer Stoßfänger aus dem Prototypenbau, keine Narbung des Materials

- kein Santana-Schriftzug am Armaturenbrett (bei Produktion Name noch geheim!)

- schräg eingenietete Chromleisten an den hinteren Dreieckfenstern

- keine Leseleuchten, obwohl der Santana GL diese serienmäßig gehabt hätte

- schwarze Bereich B- und C-Säulen nicht aufgeklebt, sondern lackiertes Metall

- Reifen-/Felgenkombination 6Jx14 trotz Vierzylindermotors werksseitig eingetragen

Noch einen großen Teil der Straße vor sich... - der Wagen erfreute sich zum Zeitpunkt dieser Aufnahmen eines guten Pflegezustands. Zu erahnen die auf beiden Seiten (!) nachgerüsteten Nebelschlußleuchten - links die originale deutsche , für rechts wurde eine englische Rückleuchte mit Nebelschlußleuchte beschafft.
Im Bild gut erkennbar ist die Variant-Auspuffrohrverlängerung, die bei späteren Serienmodellen nicht mehr zum Einsatz kam, bei Auspuffreparaturen jedoch immer wieder von unwissenden Mechanikern verbaut wurde.

Aus der Spiegelung des Lacks auf der hier völlig trockenen Stoßstange läßt sich erkennen, wie glatt die Oberfläche dieses Prototypenteils ist.

Der leichte Öffnungswinkel der Tankklappe deutet auf diesem Foto bereits auf einen Rostbefall der Tankstutzenhalterung hin, und an der Endspitze und am Radlauf tauchen kleine braune Pickel auf - der Rostschutz entsprach leider noch nicht dem späteren, etwas höheren Standard.

Ärgerlich: Ein Interrent-Mietwagen hat den Santana beim Wenden an der vorderen Stoßstange touchiert - hinterher saß sie leicht schief.

Interessant ist das Bild aber aus einem anderen Grund: Der Farbton "togogelb" erscheint zwar aus heutiger Sicht für eine Limousine der oberen Mittelklasse gewagt, doch der auf dem Bild befindliche, nur wenig ältere Mercedes W123 zeigt, daß derartige Farbtöne damals gar nicht so ungewöhnlich waren.

Rechts im Bild ein Passat C Fließheck, in rot ein Simca - wann haben Sie den letzten auf der Straße gesehen...?

1985: Michael H., ausnahmsweise auf dem Beifahrersitz - ein zufriedener Santana-Besitzer.

Auf diesem Foto besonders gut zu erkennen- die Farbe togogelb, die hier im Vergleich zu allen anderen Fotos endlich realitätsnah erscheint, und der Seitenblinker. Es ist sehr fraglich, ob nach den Vorserienfahrzeugen noch Santana den deutschen Markt erreichten, die ab Werk mit Seitenblinkern ausgestattet waren...

An dieser Stelle vielen herzlichen Dank an Michael H., ohne dessen phänomenales Erinnerungsvermögen an sein langjähriges Auto die Aufzählung dieser interessanten Details nicht möglich gewesen wäre! Noch 15 Jahre nach dem Verkauf des Wagens konnte er auf diese Weise Licht auf den Beginn der Santana-Produktion werfen, und mit den Fotos und der Begeisterung, die auch so lange nach dem Verkauf des Wagens noch nicht wirklich abgeebbt ist, ist er für die Forschung einer der hilfreichsten ehemaligen Santana-Besitzer.

Nach dem Santana folgte ein Golf II Automatic, auf diesen ein Audi A3 TDI, beide umgerüstet auf Handbetrieb.

Normalerweise wäre die Geschichte hier wohl zu Ende. Michael H. vermißte all die Jahre seine Nr. 4 und dachte auch nach vielen Jahren und Kilometern in modernen Autos mit leichter Wehmut an seine komfortable Stufenhecklimousine zurück. Irgendwann fand er über das Internet zum Santanazentrum Braunschweig, Besuche folgten...

- im Winter 2007/2008 machte Michael H. dann Nägel mit Köpfen, fuhr nach Sachsen und kaufte einen Santana GX5.

2008: Endlich wieder ein Santana!

Michael mit dem zweiten Santana in seinem Leben, dieses Mal nicht der kleinste, sondern der größte verfügbare Motor, ein Fünfzylinder - Einspritzer mit Automatic-Getriebe.

Das in weit überdurchschnittlichem Pflegezustand befindliche Fahrzeug konnte er aus der Hand eines Sammlers in Sachsen erwerben.

Vorweggegangen war eine mehrmonatige Suche nach einem guten Santana Automatic. Verhandlungen im Kölner Raum scheiterten am hohen Preis, den ein Erstbesitzer für seinen sienaroten Santana GX aufrief.

Schließlich setzte sich Michael in seinen Audi, fuhr nach Freiberg, wo er ja über 17 Jahre zuvor bereits mit seinem togogelben GL gewesen war, und kaufte seinen GX5. Nach dem Kauf folgten wie immer einige Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten, die Nachrüstung des Handgasapparates und die Anmeldung auf Saisonkennzeichen...

Michael H. hat das getan, wovon andere nur reden:

Er ist losgegangen und hat sich wieder das Auto seiner Jugend gekauft. Kein "man müßte eigentlich" oder "man könnte vielleicht" - nein, konsequent bis zum letzten hat er weder Kosten noch Mühen gescheut, um dem alten Traumwagen wieder nahe zu sein.

Nun kann er nicht nur sagen:

"Ich hatte auch mal einen Santana...",

sondern weit besser:

"Ich habe auch einen Santana!"

Bewundernswert.