- mein GL Diesel.

Nachdem ich 1999 zum Studium nach Braunschweig zog, fuhr ich noch viel an den Wochenenden nach Hause. Mein Weg führte mich über die B1, und bei einer Ortsdurchfahrt sah ich ihn immer wieder stehen - es handelte sich nicht um einen Santana, sondern um ein noch exotischeres US-Modell, einen diamantsilberfarbenen Quantum. Direkt daneben bzw. auf dem gleichen Parkplatz stand ein dunkelrotes Passat C 32b Stufenheck, also das deutsche Faceliftmodell der gleichen Karosserie.

Wann immer ich dort vorbeikam, habe ich mir den Hals verrenkt: Stand der Quantum noch vor der Tür...? An Freitagen war er nicht immer da, genauso wie Sonnabends - die überwiegende Zahl der Sonntage jedoch stand er auf seinem Platz, so daß ich auf der Rückfahrt nach Braunschweig meistens beruhigt sein konnte. Der Besitzer hatte den Wagen also nicht verkauft, nach wie vor fuhr er ihn. Dies beruhigte mich umso mehr, als ich schon fürchtete, daß das rote Stufenheck eventuell eine Ablösung darstellen sollte. Einen echten Quantum durch ein Passat Stufenheck in Basisausstattung ersetzen...? Das sollte doch wohl nicht ernstgemeint sein!?

Doch der Quantum blieb, und lange standen beide Autos einträchtig nebeneinander. Handelte es sich vielleicht um einen Vater mit dem alten Quantum, dessen Sohn den elterlichen Wagen so schätzen gelernt hatte, daß er sich einen technischen Verwandten zugelegt hatte? Irgendwann nahm ich mir zwei Minuten, hielt an und schaute mir im Schutze der Dunkelheit den Quantum näher an. Der Besitzer, so viel stand fest, kümmerte sich offenbar liebevoll um den Wagen. Von dem wenigen her, was ich flüchtig im Dunkeln erkennen konnte, war er hier und dort überlackiert worden, nicht mehr 100% original, aber er wurde offenbar gut umsorgt und trotz seines Alters sehr geschätzt. Irgendwie hatte ich das Gefühl, daß der Besitzer den Wagen wohl doch nicht so schnell verkaufen würde.

In der Zwischenzeit, als reger Teilnehmer am Braunschweiger Straßenverkehr, hatte ich auch dort Gelegenheit, den Wagen des öfteren zu sehen. Jedes Mal freute ich mich, konnte ihn aber immer nur fahren sehen - nie parkte er irgendwo. Die Nähe der Sichtungen zum Braunschweiger VW-Werk ließ mich vermuten, daß der Besitzer möglicherweise dort arbeitete...

Die Jahre gingen ins Land, aber kein einziges Mal fuhr ich durch jenen Ort, ohne mir unterwegs den Hals nach dem Quantum zu verdrehen. Mal war er da, mal war er nicht da - aber jedes Mal wieder war ich beruhigt, wenn er nach einmaliger oder auch mehrfacher Abwesenheit wieder auftauchte.

Ich fuhr mit dem Alltagspassat Trophy vorbei, ich fuhr mit dem lhasagrünen GX5 vorbei, und schließlich fuhr ich mit meinem silbernen Santana GX Turbodiesel dort vorbei und freute mich über den Anblick des Quantums, der noch immer zu sehen war, auch nachdem der rote Passat C Stufenheck zwischenzeitlich auf Nimmerwiedersehen verschwunden war.

Inzwischen hatte ich festgestellt, daß es im Ort einen Schrottplatz gab, und dieser wurde in ziemlich großen Abständen immer wieder angesteuert, ohne allerdings auf besondere Raritäten zu stoßen.

An einem Sonnabend im Juni 2006 fuhren wir nach längerer Zeit im silbernen TD wieder durch den Ort, der Quantum war nicht zuhause - wie immer machte sich eine leichte Unsicherheit breit: Es war doch hoffentlich alles in Ordnung mit ihm...? - Am Ende des Ortes bogen wir rechts ab in Richtung Schrottplatz, und genau dort stand er - der Quantum. Wollte der Besitzer ihn gerade verschrotten oder erkundigte sich womöglich gerade nach der Verschrottung? Hier mußte schnell gehandelt werden...

Also wurde der GX TD flugs dahinter geparkt, ein paar Fotos der gleichfarbigen Autos entstanden, und dann wurde auf dem Schrottplatz nach dem Besitzer gesucht - nachdem nur eine einsame Person zwischen den Autos stand, fiel eine Ansprache recht leicht... - "Sind sie der Mann mit dem Quantum?"

Im folgenden erfuhr ich die Geschichte des Autos:

1984 war der Quantum als Versuchswagen der Volkswagenwerk AG in Wolfsburg zugelassen worden, Auslieferung an "Fuhrpark FE (Forschung und Entwicklung) - Geschäftsfahrzeuge". Bei VW blieb der Wagen bis 1987, dann wurde er verkauft...

1985/1986 wurden bei VW Versuche mit ladeluftgekühlten Turbodieselmotoren gefahren, eine Kleinserie von Passat mit 80PS-TD Motoren wurde gebaut, die allerdings später nur noch an den Schlüsselnummern zu erkennen waren, denn soweit diese Fahrzeuge in den Handel gelangten und nicht am Ende der Erprobungen verschrottet wurden, bekamen Sie vor dem Verkauf an Händler und Privatleute andere Motoren, in der Regel normale 70PS-Turbodiesel. (Die ladeluftgekühlten TD-Motoren gab es später im Golf II und Passat 35i, z.B. der Golf Fire & Ice TD LLK hat diesen Motor.)

Ende 1987 also wurde der Quantum von VW verkauft, allerdings ohne Motor, bzw. mit der Auflage an den Braunschweiger Händler, den Wagen mit einem anderen Motor auszustatten - was sich damals genau abspielte, läßt sich heute nicht mehr feststellen. Die Geschehnisse in den Jahren 1985/1986 lassen aber vermuten, daß auch in dem Quantum testweise andere Motoren wie z.B. oben erwähnte TD mit Ladeluftkühler verbaut wurden...

Der V.A.G.-Händler verbaute einen Saugdieselmotor mit 54PS aus einem ziemlich neuen Unfall-Passat und "halbierte" die Klimaanlage - seitdem funktioniert lediglich die unterdruckbetätigte Klappensteuerung für die Lüftungsanlage, der Kühlungsteil aus Kompressor und weiteren Teilen wurde entfernt bzw. war bereits durch den Ausbau des Motors verlustig gegangen. Auch der beim Quantum TD vorhandene Tempomat wurde stillgelegt, lediglich der entsprechende, steil nach links oben ragende Blinkerschalter blieb im Wagen. Ein deutscher Tacho wurde verbaut. Das Fahrzeug erhielt deutsche Santana-Rückleuchten und verlor den US-spezifischen hinteren Nummernschildträger, die Sealed-Beam-Scheinwerfer wurden gegen solche mit asymmetrischem Abblendlicht ausgetauscht, und auch die vorderen Blinker erfuhren eine Sonderbehandlung: Die Quantumblinker wurden komplett Ihres Innenlebens beraubt, und ein simpler Golf-Blinker wurde mit der Streuscheibe vor und mit dem Innenleben hinter die Quantum-Streuscheibe geschraubt, die auf diese Weise irreparabel zerstört wurde...

Im März 1988, etwa ein halbes Jahr nach dem Ausscheiden bei VW, kaufte der Zweit- bzw. private Erstbesitzer den nunmehr nicht mehr zwangsbeatmeten, mit deutschem TÜV-Stempel versehenen Quantum Diesel, das Anmeldedatum lautet kurioserweise auf meinen 9. Geburtstag...

Der Kilometerstand zeigte beim Verkauf durch das Autohaus knapp über 50.000km (oder Meilen?!), und in den nächsten 20 Jahren sollte er bzw. der des Tauschtachos kaum stillstehen, so daß schließlich über 440.000km zusammenkamen. In all den Jahren jedoch verlor der Besitzer nie das Interesse an dem Wagen, fast alle Investitionen, großen und kleinen Reparaturen wurden festgehalten, und der Wagen wurde insgesamt mit über die Jahre nicht nachlassender Hingabe gepflegt. Wirkliche Fernreisen wurden nicht unternommen, hauptsächlich Landstraße und kaum Autobahn kamen unter die Räder, und im Jahr 2006 traf er bzw. sein Besitzer dann vor dem Stammschrottplatz auf seinen Verwandten, meinen GX TD.

Nachdem wir die Telefonnummern ausgetauscht, uns unterhalten und ein paar Mal um die Autos gelaufen waren, trennten sich unsere Wege wieder. Immer dann, wenn ich - inzwischen viel seltener - über die B1 durch den Heimatort des Quantums fuhr, verdrehte ich mir weiterhin den Hals, alles war wie immer. Mal war er da, mal war er nicht da...

Anfang März 2008, an einem Sonnabend, klingelte das Handy: Ob ich noch Santana fahren würde, und ob ich noch Interesse an dem Quantum hätte, den ich mir damals vor dem Schrottplatz angesehen hatte...?

Gleich am nächsten Tag fuhren wir vorbei. Der Besitzer mußte sich einen Neuwagen kaufen und war somit in die unangenehme Situation gekommen, seinen geliebten Quantum nach fast auf den Tag genau 20 Jahren abgeben zu müssen... - zwei Wochen später war es soweit, und ich konnte "DEN" Quantum abholen.

Ich habe dem ehemaligen Besitzer versprochen, sehr gut darauf aufzupassen, und nachdem die Hauptuntersuchung gerade anstand, habe ich vor dem Wegstellen noch zwei frische Plaketten kleben lassen und ihn dann schweren Herzens und zum ersten Mal seit 1987 abgemeldet.

Obwohl er jetzt bei mir steht schaffe ich es kaum, mich bei einer Fahrt über die B1 nicht an einer ganz bestimmten Stelle umzudrehen und auf dem Parkplatz nach einem silbernen Quantum Ausschau zu halten...

An dieser Stelle vielen herzlichen Dank an Herrn B., ohne dessen Pflege der Wagen kaum so lange gehalten hätte.

Nicht nur der Wagen hatte die Zeiten überstanden, sondern auch die gesamte Begleitliteratur wie die Bedienungsanleitungen, Serviceplan und so weiter:

Die Krönung ist der in doppelter Ausfertigung vorhandene, originale Schlüsselanhänger aus gestanztem Leichtmetall, der die damalige Inventar-nummer des Wagens als Versuchsträger der Volkswagenwerk AG trägt:

Somit ist es noch heute möglich, dem einstigen Fuhrpark-Fahrzeug die Nr. 159-720 zuzuordnen.

Im Jahr 2012 wurde der Wagen re-originalisiert und Quantum-Rückleuchten, intakte Scheinwerfer-Umrandungen und Blinker sowie der hintere Nummernschildträger verbaut. Die Krönung war ein Paar passender, noch sehr dunkler Quantum-Stoßstangen mit intakten Chromleisten und ohne Anfahrschäden, die seit ca. 20 Jahren auf dem Dachboden eines eigentlich längst geschlossenen Schrottplatzes gelegen hatten und vom Besitzer des Platzes erstanden werden konnten.

Das originale Volkswagen Radio "Heidelberg" wurde wieder verbaut, weitere Kleinigkeiten wie der korrekte "Hazard"-Warnblinkschalter ergänzen den Innenraum...

Übrigens: Der rote Passat Stufenheck, der so oft auf dem Parkplatz neben dem Quantum gestanden hatte, war kein Familienmitglied, Sohn o.ä. des Quantumfahrers - er gehörte ganz einfach einem Nachbarn, der den Wagen nach ein paar Jahren wieder verkaufte.